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Beitrag vom 20.08.2003
Schotter wie Heu
Jana Scheerer
Ein Dokumentarfilm über die kleinste Bank Deutschlands - und über ein Dorf zwischen Edeka, Feuerwehr, Kirche und Kneipe. Für alle, die einen tiefen Einblick in die schwäbische Seele bekommen wollen.
"Wir ham nur a leere Sup ´gesse!" Wer hier eine Übersetzung braucht, ist bei "Schotter wie Heu" genau richtig. Und wer´s jetzt schon ohne Untertitel versteht, darf sich über seine Fremdsprachenkenntnisse freuen.
"Wir haben vorher nur eine magere Suppe gegessen", ist die hochdeutsche Übersetzung obigen Ausspruchs, den mit Vorliebe die schwäbische Verwandtschaft bei einem Familienessen äußert, für das die Oma die Kosten übernimmt. Wären damals meine Onkel und Cousins mit Untertiteln versehen gewesen, hätte es einige Verständnisschwierigkeiten weniger gegeben.
Diesen Service bietet "Schotter wie Heu": Allzu schwäbische Passagen werden übersetzt, der Film ist also sozusagen ein Original mit Untertiteln. Doch ansonsten geht es ganz schwäbisch zu: Es geht um Geld. Denn im baden-württembergischen Gammesfeld steht die letzte Bank Deutschlands, die ohne Computer betrieben wird.
Stattdessen gibt es eine Thales Rechenmaschine, an der Fritz Vogt sämtliche Bankvorgänge erledigt. Er ist zugleich Kassierer, Sekretär, Buchhalter und Vorstandsvorsitzender in einer Person - und der wichtigste Mann im Dorf. Wer Geld abheben, überweisen oder einzahlen möchte, kommt an ihm nicht vorbei und muss sich auch mal einen Kommentar anhören.
Aus der kleinen Bankfiliale folgt der Film einzelnen DorfbewohnerInnen an ihre Arbeitstätten und in ihre Wohnungen. So erzählt die junge Bäckerei-Verkäuferin von ihrem Traum in Form eines Audi A3 und der Landwirt führt seinen vollautomatisierten Schweinestall vor. Leider dringen die beiden Filmemacherinnen Wiltrud Baier und Sigrun Köhler dabei nur selten wirklich in das Leben der Menschen ein.
Rare Momente wie das Gespräch mit dem Ehepaar, das den Edeka-Laden betreibt, werden allzu schnell abgebrochen. Gerade als sie feststellt, dass seine Sparsamkeit sich nicht auf sein Auto erstreckt, würgt er sie ab: Das gehöre nicht hier her. Dieser Satz ist symptomatisch für die Haltung der DorfbewohnerInnen den Filmarbeiten gegenüber: Man möchte eine gute Figur machen.
Dass die Filmemacherinnen das den Gammesfeldern auch gestatten, ist ihnen eigentlich nicht anzukreiden. Zu viele Dokumentarfilme kippen vom Berichten über ihre Protagonisten ins Entlarven ab und führen ihre "Objekte" letztendlich vor. Hier hingegen bleibt es immer den Gammesfeldern überlassen, wie viel sie von ihrem Leben freilegen wollen.
So kommt das dunkle Geheimnis des Dorfes auch erst gegen Ende des Filmes zum Vorschein: Als vor einigen Jahren der Steinbruch für Abfälle aus Stuttgart genutzt werden sollte, spaltete Gammesfeld sich in zwei Lager, die bis heute nicht versöhnt sind. Das beste Argument für dieses Projekt liefert ein junger Mann: "In Stuttgart findet sich immer was Kontaminiertes."
Schön sind auch die Momente, in denen der Film ein anderes Filmteam in den Blick nimmt. Für eine Reportage werden Aufnahmen in Gammesfeld gemacht - und das bedeutet für die BewohnerInnen echten Stress: Fritz Vogt muss x Mal mit dem Fahrrad in seine Einfahrt radeln, bis Kameramann und Regisseur endlich zufrieden sind. Hier wird die Unmöglichkeit der authentischen Dokumentation auf einer Metaebene thematisiert.
Die Filmemacherin Sigrun Köhler ist im Hohenlohischen aufgewachsen und hatte so Zugang zu Dialekt und Mentalität der Gammesfelder. Ihr und Kollegin Wiltrud Baier war es wichtig, die Bank nicht isoliert als hinterwäldlerische Attraktion zu zeigen, sondern ihre Bedeutung im Kontext des Dorfes zu erfassen.
So ist in der Raiffeisenbank Gammesfeld der ursprüngliche genossenschaftliche Gedanke noch aktiv. Als Selbsthilfe für Handwerker, Bauern und Mittelständische wurde sie vor rund 150 Jahren gegründet. Auch heute entscheidet Vorstand und Aufsichtsrat über Kreditvergaben nicht nur aufgrund von Sicherheiten, sondern auch in Bezug auf moralische Integrität - schließlich kennt man fast jede/n AntragstellerIn schon seit der Kindheit.
"Schotter wie Heu" ist ein amüsanter und spannender Film, der nicht nur schwäbisch vorbelasteten ZuschauerInnen Freude machen dürfte. An der Länge hätte allerdings ein Wenig gespart werden können. So wie die Dorfbewohner beim Anblick des Filmteams "Ihr schon wieder!" ausrufen, möchte man Ihnen nach einer Stunde aus dem Zuschauerraum entgegenrufen: "Du schon wieder!" Kurz gesagt: Sechzig Minuten hätten es auch getan.
Und fürs Sparen ist Herr Vogt doch sicher auch immer zu haben.
Schotter wie Heu
Wiltrud Baier und Sigrun Köhler
Mit Fritz und Else Vogt, Friedrich und Christiane Dürr u.v.a.
Deutschland, 2002, 98 Minuten
Start: 28.8.2003
www.salzgeber.de